Eine Buchempfehlung: Der globale Green New Deal.

 

Jeremy Rifkin als gesellschaftlichen Vordenker vorzustellen erübrigt sich fast, aber für die Leser, denen er noch gar nicht über den Weg gelaufen ist, hier ein paar Stichworte. Rifkin ist Gründer und Vorsitzender der Foundation on Economic Trends und berät neben Regierungen in Deutschland, der EU und China zahlreiche Organisationen und lehrt an der renomierten Wharton School. 

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Jeremy Rifkin hat mit seinen Bestsellern immer wieder dazu beigetragen, Hintergründe und Auswirkungen aktueller gesellschaftlicher Veränderungen zu verstehen und in einen größeren Rahmen einordnen zu können. So waren „Acces“, „Die dritte industrielle Revolution“ sowie zuletzt „Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft“ internationale Bestseller.

Auch das aktuelle Buch bietet seinen Leserinnen und Lesern ein Gerüst für das was sich gerade vollzieht. Es beschreibt und erklärt die bedeutenden Veränderungsströme. Den roten Faden des Buches bilden drei Erzählstränge, die miteinander verwoben sind. In dem ersten Erzählstrang geht es um den Switch von der fossilen zur grünen Energieerzeugung. Schon heute ist die Erzeugung grüner Energie per Einheit preiswerter als die Erzeugung fossiler Energie, wenn man die gesamten Entstehungskosten berücksichtigt. Die zwangsläufige Folge ist die Bewegung der Märkte in Richtung grüner Investments. Das vollzieht sich im Moment, von der Allgemeinheit weitestgehend unbemerkt, schon in einem solchen Ausmaß, daß Experten von einem Kollaps der fossilen Ökonomie schon in naher Zukunft (zwischen 2028 und 2035) ausgehen.

Ein wesenlicher Treiber sind dabei übrigens die mächtigen Pensionsfonds, die allein in Amerika Gelder von rund 47 Billionen Dollar verwalten. Die Fondverwalter müssten ja davon ausgehen, dass sie Anlagewerte ihrer Mitglieder vernichten, würden sie weiter in fossile Industrien investieren. Vor diesem Hintergrund überrascht es denn auch nicht, daß im Jahr 2018 die Stadt New York erklärte, alle Gelder in ihren Pensionskassen nur noch in „Grün“ zu investieren. Kurz darauf zog London nach. Im Juli 2018 verkündete Irland seine Pensionskasse in Richtung „Grün“ zu verpflichten, im März 2019 zog der mächtige Staatsfond Norwegens nach.

Investmentbanker rechnen schon mit sogenannten „gestrandeten Anlagewerten“ in Höhe von 100 Billionen Dollar, allein in den USA. Das wird natürlich zu gewaltigen geopolitischen und gesellschaftlichen Umbrüchen führen, da ist nichts zu verharmlosen. Anderseits steckt in dieser Bewegung auch die gute Nachricht, dass es der Menscheit noch gelingen kann, die drohende Klimakatastrophe zu verhindern.

Jeremy Rifkin belässt es nicht bei einer plausibel dargestellten Momentaufnahme, sondern er zeigt in seinem aktuellen Buch einen Weg wie die Menschheit in den nächsten 15 bis 20 Jahren den Umbau von einer fossil beffeuerten Infrastruktur hin zu einer grünen Infrastruktur schaffen kann.

It’s the infrastructure, stupid!
— Jeremy Rifkin

Genau davon handelt der zweite Erzählstrang. Im wesentlichen geht es vor allem um einen Umbruch in der Infrastruktur. Rifkin führt aus, daß alle revolutionären Bewegungen in der menschlichen Zivilisation immer von gleichzeitigen, jeweils bahnbrechenden Innovationen in den Bereichen Kommunikation, Energie und Transport ausgelöst wurden. Dabei müssen wir uns die fundamentale Bedeutung neuer infrastruktureller Paradigmen vor Augen führen. „Die Infrastruktur wirkt weitaus zentraler auf die Wohlfahrt von Einzelnen, Familien, Gemeinschaften, Geschäften und Arbeitnehmern sowie die Verteilung der gesellschaftlichen Früchte ein, als gemeinhin im akademischen oder politischen Diskurs angenommen wird.“

Der Autor führt dann weiter aus, wie wir uns von der ersten industriellen Revolution in der die Eisenbahnen, das Telegrafensystem, Kohle als Primärenergie, Stahlwerke, das Verlagswesen und andere Industrien entstanden, in die derzeitig auslaufende zweite industrielle Revolution hinein entwickelten.

Der Aufbau der Infrastruktur der zweiten industrielle Revolution überlappte sich mit der Infrastruktur der ersten, absorbierte oder ersetzte sie ganz. Bestimmend für die zweite industrielle Revolution war die Massenproduktion von Automobilen, begleitet vom Bau bundesweiter Straßensysteme als Grundlage für eine verteilte Logistik. Strom- und Telefonleitungen verbanden jeden mit jedem bis in den letzten Winkel der Industriestaaten.

Aktuell entwickelt sich vor allem die EU mit großen Schritten in Richtung der dritten industriellen Revolution. Seit einigen Jahren hat sich auch China konsequent dieser Entwicklung angeschlossen. Im wesentlichen geht es um den Aufbau einer grünen Infrastruktur mit den Ziel eines kohlenstoffreien Lebens. Die Grundlage für die Infrastruktur der dritten industriellen Revolution wird das Zusammenwachsen der drei Internets sein: des Kommunikations-Internet (welches wir heute als „das Internet“) kennen, des Energie-Internets (oder Smart-Grid) sowie des Mobilitäts -und Logistik-Internet zu einem Internet der Dinge (IdD) in dem buchstäblich alles mit allem mittels Sensoren verbunden sein wird.

Rifkin beläßt es nicht bei der Darstellung eines plausiblen Weges in die grüne Infratsruktur, sondern er zeigt auch detalliert die enstehenden Kosten auf. So veranschlagt er für die USA über einen Zeitraum von 10 Jahren ca. 460 Milliarden Dollar pro Jahr, was einem Bruttoinlandsprodukt von rund 4,6 Prozent entspricht. Diese gewaltige Summe relativiert sich allerdings, wenn man die 8,3 Prozent der jährlichen Infrastrukturausgaben der Chinesen dagegen stellt. Auch die ca. 300 Milliarden Dollar Umweltschäden in den USA allein im Jahr 2017 müssen dieser Summe entgegengestellt werden.

Der dritte große Erzählstrang in Rifkins Buch ist der neue Sozialkapitalismus.

Die Nationalstaaten werden in der dritten industriellen Revolution nicht mehr so dominant sein wie heute. Die Führung übernehmen die Städte, Kommunen, Gemeinden. Das hat zwei ganz handfeste Gründe: der Klimawandel und seine negativen Folgen werden vor Ort spürbar und die Infrastruktureinrichtungen werden vor Ort verantwortet. So gehören beispielweise 90 Prozent der Infrastruktureinrichtungen in den USA nicht dem Bund, sondern sie sind im Besitz der Staaten und Kommunen. Entsprechend hoch ist mit 75 Prozent ihr Anteil an den Kosten für Unterhalt und Verbesserung der amerikanischen Infrastruktur. Dieses Verhältnis dürfte in Europa in etwa gleich sein.

Aktuell entkopplen sich weltweit, mit unterschiedlichem Tempo, die Sektoren IT/Kommunikation, Energie, alte Mobilität, Gebäude und Landwirtschaft von der fossilen Infrastruktur und bewegen sich hin zu einer grünen Infrastruktur. Die Bedeutungsverschiebung, weg von den Nationalstaaten hin zu Städten und Kommunen drückt sich auch im sog. Konvent der Bürgermeister für Klima und Energie aus. In diesem Konvent haben sich weltweit über 9.000 Städte und Kommunalregierungen zum Aufbau nachhaltiger Kommunen und zum Kampf gegen den Klimawandel zusammengefunden. Rifkin fasst die Summe dieser Bewegungen unter dem Schlagwort „Glokal“ zusammen. 

Trailer zur englischen Version des neuen Rifkin Buches.

Der Umbau der fossilen Infrastruktur hin zu einer Infrastruktur der erneuerbaren Energien muss zudem genutzt werden, um die Infrastruktur wieder zurück in die öffentliche Hand zu holen. Denn weltweit haben sog. Private Public Partnerships ihren anhaltenden Erfolg nicht nachweisen können. Auf lange Sicht gewinnen bei den privaten Investoren immer die Renditegesichtspunkte, was am Ende zu einer nachlassenden Qualität der Infrastruktur führt. Rifkin stellt als Gegenmodell ausührlich das Modell der sog. ESCO’s (Energie Service Companay) dar, bei denen kurzgesagt die Verkäufer/Käufer-Märkte durch Provider/User-Netzwerke ersetzt werden. Die Verträge sind so gestaltet, dass der Provider der Kommune eine geeignete Infrastruktur mit definierten Mengen an Ressourcen zur Verfügung stellt und überschüssige Energie verkaufen darf (sog. Performance-Contracting). So ist praktisch über den gesamten Vertragszeitraum eine effizzente Infrastruktur gewährleistet.

Am Ende des Buches hebt Rifkin die Bedeutung der Mobilisierung der Gesellschaft hervor. Menschen haben sich die Welt schon immer mit Hilfe von Geschichten erschlossen. Das Narrativ ist also entscheidend. Um die Menschen vor Ort, da wo die Entscheidung über einen gelungenen oder gescheiterten Wandel fallen wird, einzubinden schlägt Rifkin sog.“ Peer Assemblys“ vor. Die „Peer Assemblys“ sind Versammlungen der verantwortlichen Politiker aber auch Vertreter der Wirtschaft, des Handels, von Bürgerinitiativen, Interessengruppen etc.. Die Assembly sollten ca. 300 Mitwirkende haben. In drei europäischen Regionen laufen bereits seit einiger Zeit Modellprojekte mit großem Erfolg.

Fazit
Jeremy Rifkin’s Buch kommt genau zur richtigen Zeit. Es hilft ungemein zu verstehen, was sich derzeit auf der Welt abspielt. Es zeigt klar und schonungslos die Folgen der unvermeidlichen Katastrophe des Kollapses der fossilen Ökonomie. Es zeigt aber auch, daß es der Menscheit gerade noch gelingen kann, die Klimakatastrophe zu vermeiden.

Am meisten Mut macht, daß der Treiber dieser Entwicklung eine Bewegung der Märkte, und hier nicht zuletzt der Pensionsfonds, ist. Das wird nicht jedem gefallen, scheint mir aber eine wesentliche solidere Motivation zu sein als auf eine Umkehr der Menscheit zu Vernunft und Verzicht zu hoffen. #

 
Bodo Baumgardt