Das Tram heiligt keinen Strassentunnel

 

Allein schon die Tatsache, dass man 1100 Millionen Franken – es werden ja sicher noch mehr werden! – für ein Projekt ausgeben will, das weder der Stadt noch ihren Menschen einen markanten Mehrwert bringen würde, ist bedenklich. Es gibt viele weitere Strassenabschnitte in der Stadt, die ähnliche Verkehrsbelastungen erdulden müssen, ohne dass man an einen Entlastungstunnel denkt.

Bild: Rosenberger Productions

Bild: Rosenberger Productions

Nicht minder bedenklich und dazu noch überaus peinlich ist das Gerangel um das Thema „Mehrverkehr", den ein so deutlich attraktiverer Autotunnel zwangsläufig generieren wird, egal, welche Begrenzungsmassnahmen man verspricht. Weit ausholend soll mit einem grossen Bogen die Neigung der Strasse «verkehrsgerecht» für einen flüssigen und attraktiven Verkehr gestaltet werden. Dem Tram hingegen traut man die steile Strasse ohne Bedenken zu!

Da sich die ÖV-Branche auch im Zeitalter von Big Data immer noch nicht engagiert darum kümmert, wo, wann und warum ihre Kunden unterwegs sind (gilt auch für das Rosengartentram!), kann man ohne Angst vor Gegenbeweisen auf die alte Verkehrsweisheit setzen: Je weiter vom Zentrum entfernt eine öffentliche Verkehrslinie verläuft, um so weniger Fahrgäste zieht sie an. Die verlängerte Linie 8 belegt diese Aussage. Die VBZ bezeichnen sie als eine ihrer schwächsten Linien. Wieso sollten ausgerechnet zwei neue Tramlinien auf der Rosengartenstrasse wirtschaftlich und städtebaulich so bedeutend sein, dass man für den Strassenverkehr einen separaten Tunnel bauen will? Dass die Tramlinie zwingend erfolgreich sein müssten zeigt eine Erhebung aus Dijon. Dort wurde vor einigen Jahren ein neues Tramsystem eröffnet. Man fand heraus, dass der beim Bau der Infrastruktur (vor allem durch die Verwendung von Zement) erzeugte CO2-Ausstoss erst in rund einem Jahrzehnt kompensiert werden könnte, sofern das Tram entsprechend viele Autofahrten vermeiden kann. 

Welche verkehrliche Wirkung eine neue Tramstrecke zwischen Albisrieder- und Bucheggplatz hätte, wurde nicht publiziert, wahrscheinlich auch gar nicht erhoben, denn Start und Ziele dieser beiden neuen Verbindungen liegen völlig im Dunklen. Schienen allein sind noch lange kein Erfolg. Erst wenn neue Linien mit allen anderen ÖV-Achsen gut und logisch vernetzt sind und in erster Linie flüssig und zuverlässig verkehren, werden sie akzeptiert und beeinflussen auch die Stadtentwicklung positiv. 

Im Strassentunnel wird die Fahrbahnneigung durch eine Streckenverlängerung mithilfe des weit ausholenden Trassenverlaufs deutlich reduziert. So wird ein flüssiger Strassenverkehr sichergestellt. Hingegen scheinen die technischen Probleme einer Tramstrecke mit einer Neigung von 90 Promille keine Rolle zu spielen. Mit Tramfahrzeugen, deren Achsen zu 90 oder 100 Prozent angetrieben werden geht das Bergauffahren auf einer Steigung von 90 Promille bei trockenen Schienen ohne grosse Probleme. Das wirkliche Problem für eine Strassenbahn stellt die Talfahrt dar. Dabei ist das Gleiten die grösste Gefahr, also wenn die Räder blockieren. Dann gibt es kein Halten mehr. Gott sei Dank gibt es elektronische Antiblocksysteme und Schienenbremsen! Trotzdem müsste die Geschwindigkeit bei der Talfahrt auf 18 km/h reduziert werden, damit die Bremswege ungefähr gleich lang bleiben, wie in der Ebene! Diese unattraktive Einschränkung verbaut jedoch jegliche Mischverkehrslösung.

Hinzu käme noch, dass der aktuelle Tram-Fahrzeugpark der VBZ auf dieser Strecke wegen begrenzter elektrischer Bremsleistung oder unzureichender Adhäsion einzelner Fahrzeugtypen nur bedingt einsetzbar wäre. Bleibt zu hoffen, dass man beim neuen Flexity-Tram daran gedacht hat.

Das Rosengartenprojekt ist daher ein eklatanter Fall von «Trammissbrauch», der ein Moratorium rechtfertigt!

Auch wenn diese technischen Probleme nicht unlösbar wären, so wäre die verkehrliche Qualität dieses völlig diffusen und unausgegorenem Tramprojekts deutlich schlechter als jene des Strassentunnels. Da das Argument der Befreiung der Anwohner vom Strassenlärm nicht mehr überzeugen kann, wird die momentane Gunst der Stimmbevölkerung für den öffentlichen Verkehr und speziell für das Züri-Tram genutzt, um ein weniger populäres und nicht mehr zeitgemässes Strassenprojekt zu beschönigen. Das Rosengartenprojekt ist daher ein eklatanter Fall von «Trammissbrauch», der ein Moratorium rechtfertigt!

Die Ablehnung der Vorlage wäre mit Sicherheit das kleinere Übel. Sie böte jedoch die Chance, dass Politiker und Planer von Stadt und Kanton endlich aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen. Sie könnten sich dann den Problemen und Möglichkeiten von heute und morgen widmen und müssten nicht mit Dinosaurier-Projekten des letzten Jahrhunderts von ihrer Ideenlosigkeit ablenken. Planungssünden der Vergangenheit kann man nicht mit einer weiteren Sünde tilgen, und schon gar nicht, um sich damit als Retter oder Retterin der Stadt zu positionieren.

Schon einmal hat ein ähnlicher Weckruf einer gescheiterten Abstimmung einen erfolgreichen Kurswechsel ausgelöst. Nach der deutlichen Ablehnung des U-Bahn-Projekts anfangs der Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts gewährte das Zürcher Stimmvolk einen Kredit von 200 Millionen Franken zur Verbesserung des öffentlichen Verkehrs an der Oberfläche.  Dieses stadt- und menschen­orientierte Downsizing der U-Bahn-Träume zum "Zürcher Modell" war das Markenzeichen der Stadt Zürich und fand weltweite Bewunderung. Dabei bedienten man sich der technologischen Möglichkeiten der damaligen Zeit zum Nutzen der Stadt und der Menschen. Die revolutionäre Steuerung des gesamten Strassenverkehrs, das datengesteuerte Funkleitsystem der VBZ, die Tramverlängerungen nach Schwamendingen und die Verbreiterung der VBZ-Tram-Fahrzeuge von 2,2 m auf 2,4 m sind nur vier der vielen Massnahmen, die das Tramsystem dazu machten, was es heute ist.  

Angesichts der neuen Möglichkeiten der aktuellen Vierten Industriellen Revolution darf man doch diesen Weg nicht leichtfertig aufgeben. Die VBZ haben mit ihrer IMC-Lösung (IMC = In Motion Charging, d.h. Batterieladung über die Fahrleitung während der Fahrt) und den Doppelgelenkfahrzeugen ihr Trolleybus-System revolutioniert! Leider verkauft die Züri-Linie diese Innovation denkbar schlecht. Dafür planen und realisieren weltweit mehrere Städte bereits solche Lösungen (z.B. Esslingen, Solingen, Nantes in Frankreich, Brisbane in Australien, Berlin, Saint Etienne).

Derart gestaltete neue Trolleybuslinien böten mindestens so viel Kapazität, wie der Durchschnitt aller Zürcher Tramlinien und liessen sich in deutlich kürzerer Zeit und mit einem Teil der Kosten einer Tramlösung realisieren. Auch die 90 Promille in der Rosengartenstrasse wären für solche Trolleybus-Lösungen kein Problem. Mit geeigneten Verkehrs-Steuerungen könnte man Mischverkehrslösungen realisieren, die mindestens für die kommenden 20 bis 30 Jahre attraktive Angebote darstellen würden. Zeit genug, um mehr Erkenntnisse aus den Bewegungsdaten der Menschen in der Stadt zu gewinnen und die Chancen der neuen technologischen Möglichkeiten auszuloten, um darüber nachzudenken und zu entscheiden, wie der gesamte Zürcher Strassenverkehr in Zukunft menschenfreundlich und nachhaltig gestaltet werden muss und kann. #

 
Horst Schaffer