Weiterdenken – Anregungen zur Verkehrspolitik der Stadt Zürich.

 

Der Verkehrsrichtplan ist eigentlich ganz ok, aber nicht gut genug. Die Verankerung der verkehrspolitischen rot-grünen Ladenhüter wird die Stadt Zürich nicht wirklich weiterbringen.

Im letzten November hatte die Zürcher Bevölkerung, nach hitzigen Diskussionen im Abstimmungskampf, den Verkehrsrichtplan mit einer satten Mehrheit gutgeheissen. Auch jetzt, im Zürcher Wahlkampf, liefern sich die Befürworter und Gegner Debatten, die an die frühen 80er Jahre des letzten Jahrhunderts erinnern. Die Zeit scheint stehen geblieben. (Man hat den Eindruck, jeden Moment könnte sich der damals berüchtigte «Schwellenruedi», mittlerweile 80-jährig, wieder in den Streit einmischen). Dabei will rot-grün doch nur endlich die Ladenhüter ihrer Verkehrspolitik verankern und umsetzen. Tempo 30, Velowege und eine Reduktion der Parkplätze. Die Frage sei erlaubt, weshalb diese Anliegen, nach drei Jahrzehnten rot-grüner Mehrheit im Züricher Stadtrat, nicht schon längst umgesetzt sind? Die Gegner, Gewerbe und Rechtsparteien, zeichnen einmal mehr die Apokalypse in den schillerndsten Farben – ohne eigene Ideen in die Diskussion einzubringen. Huldigen jedem Parkplatz wie einem Götzen. Errechnen astronomische Summen, wieviel Umsatz ihnen durch den Wegfall jedes einzelnen Parkplatz verloren gehe. (Auffallend, dass einige Wortführer dieser Debatte ihre eigenen Geschäfte strategisch geschickt an attraktiven Umschlagplätzen des öffentlichen Verkehrs betreiben.)

Abgestanden, Verkehrswende verpasst.
Die verkehrspolitische Diskussion und der Richtplan kommen sehr abgestanden und ohne wirkliche Impulse, die in die Zukunft weisen, daher. Der Richtplan ist ein sehr statisches Instrument, an das sich die Beamtenschaft beim Vollzug sicher mit Inbrunst klammern wird. Alles ist jetzt festgeschrieben und das Weiterdenken hört auf. Die grundsätzliche Stossrichtung ist ja ok, eine Verkehrswende leitet dieses Dokument bestimmt nicht ein. Klare Ziele und Klartext? Fehlanzeige. Man möchte mehr Velo, etwas mehr grün und weniger Parkplätze. Hofft so darauf, ohne es klar auszusprechen, das Auto (die heilige Kuh) in der Stadt etwas zurückzudrängen. Welchen Beitrag dieser Richtplan an die 2000-Watt-Gesellschaft und die Klimaziele leistet, ja leisten muss, bleibt diffus. Wie immer wird die Diskussion vom Umgang mit den einzelnen Verkehrsträgern her geführt. Die Frage, wie Zürich mit dem erwarteten Bevölkerungswachstum die Mobilität grundsätzlich gestaltet und bewältigt, bleibt offen.

Der von Verkehr und Beton dominierte Hardplatz. (Bild: Patrick Federi)

Das Narrativ der autogerechten Stadt brechen.
Seit bald hundert Jahren dominiert das Narrativ der autogerechten Stadt. Es wäre jetzt doch endlich an der Zeit, das Steuer herumzureissen und mit der Gestaltung der menschengerechten Stadt zu beginnen, mit der zentralen Frage, wieviel Raum der Verkehr künftig überhaupt noch beanspruchen soll. Der Weg zu einer menschengerechten Stadt geht nur über die markante Reduktion des Verkehrsraums. Parkplätze in Velostreifen umwandeln ist doch nur ein Nullsummenspiel. Die grosse Herausforderung ist, den Stadtraum klüger zu nutzen und den Verkehr effizienter zu gestalten. Es ist unglaublich, wieviel Verschwendung, Verkehrslittering, wir uns heute leisten. Durchschnittlich 70 % der öV-Leistungen verpuffen ungenutzt, die Taxihalter klagen über 70 % Standzeiten, die Autos stehen 23 h/Tag ungenutzt herum und jedes fahrende Auto ist mit 1,1 Personen besetzt. Wie lange können und wollen wir uns diesen Irrsinn noch leisten. Dies schreit geradezu nach intelligenter Vernetzung mit digitalen Instrumenten, über die wir längst verfügen würden. Wir brauchen nicht immer mehr, wir müssen mit den Ressourcen die wir haben, sorgfältiger umgehen, die digitale Transformation vorantreiben und den Menschen individuellere, bedürfnisorientierte Mobilitätsdienstleistungen anbieten – erst noch zu günstigeren Preisen. Wir vergeuden Unsummen in ineffiziente Systeme, die den Menschen und dem Planeten schaden. Nicht Verzicht ist angesagt, sondern Befreiung von alten mentalen Modellen und Attraktivität durch kluges Gestalten.

Gelingt es, dem Verkehr grosse Flächen zu entreissen, stellt sich die Frage, wie wir diese nutzen. Ein paar Bäumchen pflanzen und Bänke aufstellen wird nicht reichen als Idee. Guideline muss die Stärkung der Lebensqualität der Menschen, die Attraktivität der urbanen Räume sein. Zudem verfügen wir heute über Technologien, Energie (Sonne z.B) und Nahrungsmittel (Urbanfarming) viel integrierter im urbanen Leben, in unmittelbarer Nähe der Menschen zu produzieren.

Wir können nicht über Mobilität diskutieren, ohne uns ernsthaft mit dem Mobility Pricing auseinanderzusetzen.
— Heinz Vögeli – denkfabrikmobilitaet.org

Zivilgesellschaft gefordert.
Schon heute müssen wir uns dringend Gedanken machen, wie wir mit den selbstfahrenden Autos umgehen werden. Wie wir die Chancen nutzen, die sich bieten. Diese Denkarbeit muss die Zivilgesellschaft leisten, bevor die Autolobby das politische System einlullt. Verschiedenste Studien kommen zum Schluss, dass selbstfahrende Autos, geschickt als kollektive Shuttleservices genutzt, das heutige Autovolumen in den urbanen Räumen auf bis zu 20 % des heutigen Autoverkehrs reduzieren könnten. Wir als Gesellschaft müssen, im Interesse der Allgemeinheit, die Spielregeln für den Einsatz der selbstfahrenden Autos definieren.

Mutige vor – für eine neue Pioniertat.
Wir können nicht über Mobilität diskutieren, ohne uns ernsthaft mit dem Mobility Pricing auseinanderzusetzen. Nicht nur als Steuerungs- sondern auch als Finanzierungsinstrument. Mit der Entwicklung der e-Mobilität werden die Einnahmen aus den Treibstoffzöllen versiegen. Der Grossraum Zürich würde sich als Pilotprojekt anbieten. Leider beobachten wir, dass PolitikerInnen, leglicher Couleur, beim Stichwort Mobility Pricing zusammenzucken und wegspringen, wie der Frosch, den man ins heisse Wasser wirft. Zugegeben, das Vorhaben ist anspruchsvoll, aber ist es andererseits nicht sehr dröge, die nächsten 20 oder 30 Jahre immer wieder mit Inbrunst über Parkplatzabbau oder Tempo 30 zu diskutieren. Prägende Projekte waren noch nie einfach, wie zum Beispiel die Eisenbahn durch den Gotthard. In einer Region wie Zürich, mit der Finanzkraft und Brainpower, muss es doch möglich sein, ein Projekt mit europäischer Ausstrahlung zu realisieren. Die Realisierung der Zürcher S-Bahn könnte dabei als Beispiel dienen. Mutige vor. Es sollte doch auch zwei Generationen nach den Pionieren der Zürcher S-Bahn engagierte, clevere Menschen in Zürich geben, die dies schaffen. (Würde sicher mehr bewirken, als das Vorhaben einer Regierungsrätin, 1 Milliarde in 400 m Rosengartenstrasse zu investieren.) Man muss die Latte ja nicht gleich auf 2 Meter zehn legen. Mit einer City-Maut mal einen ersten Schritt wagen, Erfahrungen sammeln, bringt uns sicher weiter, als dieses andauernden Sollte, Könnte, Hätte. 

Befreiung aus dem drögen Hickhack.
Dies sind einfach nur paar skizzierte, alternative Gedanken in die Zukunft, keine Utopien. Die Instrumente, um mit der Arbeit zu beginnen, stehen uns alle heute alle schon zur Verfügung. Schwieriger wird sein, uns von tief eingeritzten alten mentalen Modellen zu befreien. Sich vorzustellen, dass Mobilität völlig anders sein kann, als wir es bisher gewohnt sind. Uns aus dem Hickhack um Tempo 30, Parkplatzabbau und Velostreifen zu befreien. Oder hat wirklich noch jemand noch Lust auf eine Tempo 30-Verbot-Initiative? Bringt uns nicht weiter, vergeudet nur Energie. Dabei liesse sich dieses Thema mit der Einführung von generell 40 kmh für die ganze Stadt (Tempo 20 für die wirklichen Wohnstrassen) elegant lösen. Mit einem radikalen Denken in Chancen, mit Anregungen dieser Art, wird sich die #DenkfabrikMobilität auch 2022 in die verkehrspolitische Diskussion einbringen. #