Ästhetik vs. Verluderung.

 

Eine Polemik im Andenken an den Schweizer Grafiker, Maler und Plastiker Göpf Honegger.

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Der unlängst verstorbene Künstler Gottfried (Göpf) Honegger schrieb über seine Grossmutter: „Sie glaubte, dass Schönheit die Seele stärkt.“ Dieser Glaube leitete sicher die Erbauer der Pariser Metro. Bögen im Jugendstildesign zieren noch heute die Eingänge zu den Stationen. Beeindruckend auch die Moskauer U-Bahn, mit ihren Haltestellen die Kathedralen gleichen. Die Autohersteller messen dem Design ihrer Fahrzeuge seit jeher grosse Bedeutung zu; investieren dafür viel Aufmerksamkeit und Kapital. Wer kennt sie nicht, die Taxis von New York und London? Mit ihren Farben gelb und schwarz prägen sie die Stadtbilder dieser Millionenstädte. Noch bis vor ein paar Jahren war auch Zürich stolz auf die stadtprägenden blau-weissen Fahrzeuge seiner Verkehrsbetriebe. Diese vermittelten eine Ästhetik, die mit Sorgfalt gepflegt wurde. Die Architektur der Haltestellen Bellevue und Paradeplatz war stil- und imagebildend für den Zürcher öffentlichen Verkehr. Ganz bewusst schuf man damit der Mobilität, als zentrales gesellschaftliches Element, eine Bühne, verlieh ihr eine Wertigkeit. Der jüngste Umbau der Haltestelle Central, vermag an diese Haltung anzuknüpfen, während man beim Umbau des Stauffacher ganz offensichtlich nicht die gleiche Sorgfalt walten liess.

Sie glaubte, dass Schönheit die Seele stärkt.
— Göpf Honegger, Künstler, über seine Grossmutter.

Die Mobilität prägt weiterhin den gesellschaftlichen Diskurs wie fast kein anderes Thema. Ihre Bedeutung wird in Zukunft noch zunehmen. Wie wird diese Zukunft aussehen? Beiträge in den Medien, Kongresse, Symposien und Ankündigungen von Innovationen jagen sich hektisch, überbieten sich mit Superlativen und kühnen Visionen. Umso betrüblicher erscheint die Gegenwart. Beim Zürcher Mobilitätsangebot greift eine schleichende Verluderung um sich. Die Zürcher Taxis präsentieren sich schon lange in einem erbärmlichen Zustand. Aussen voll verklebt, als Taxi fast nicht mehr erkennbar. (Ich habe mich unlängst gefragt, weshalb Radio 1, als kleine Radiostation, so viele Firmenautos hält.) Im Innern der Fahrzeuge verbreiten Duftbäumchen einen widerlichen Geruch. Auch die stolzen Verkehrsbetriebe scheinen von einer schleichenden Verluderung befallen. Ähnlich wie in den Jugendherbergen mahnen in den Fahrzeugen immer mehr Kleber, was man zu tun und zu lassen habe. Offenbar vertrauen die Verkehrsbetriebe dem gesunden Menschenverstand ihrer „Fans“ nicht mehr. „Klebend“ machen sie gar darauf aufmerksam, dass das Hinstellen von Gepäck vor der Türe zur Trampiloten-Kabine keine gute Idee sei. Behände gehen die Verkehrsbetriebe bei der Veränderung des äusseren Erscheinungsbildes ihrer Fahrzeuge ans Werk. Vorerst noch zaghaft, wurden nur einzelne Fahrzeugfenster mit Werbung überklebt. Die Verhüllung ganzer Fahrzeuge mit Werbung folgte. Und jetzt werden gar unverhohlen grosse Werbeplakate an die Seitenwände der Busse gepflatscht. Dies sei attraktiv für die Werbewirtschaft. Und für die Menschen in der Stadt? Den öffentlichen Raum? Das Stadtbild? Verantwortliche mit Buchhaltermentalität schielen gierig auf zusätzliche Einnahmen, nehmen aber nicht wahr, dass sie dabei ein Mehrfaches an Goodwill- und Imagewerten vernichten.

Wie sind diese Entwicklungen zu werten? Einerseits wird die gesellschaftliche Bedeutung der Mobilität beschworen. Mobilität, die einen markanten Beitrag an die Lebensqualität der urbanen Räume leisten soll. Andererseits lassen die Betreiber die Erscheinungsbilder ihrer Dienstleistungen verludern. Nehmen damit in Kauf, dass die Wertigkeit und das Image sinkt, während die Automobilindustrie ihren Produkten nach wie vor grösste Sorgfalt angedeihen lässt. Smart City präsentiert sich damit nicht so smart. Smart wird eine City nicht nur durch den Einsatz digitaler Angebote. Smart ist eine City, wenn sich die Menschen wohl fühlen, sich mit der Stadt identifizieren können. Taxi und öffentliche Verkehrsmittel prägen den öffentlichen Raum einer Stadt. Deren Verluderung leistet der Smart City einen Bärendienst. Sie empfehlen sich damit nicht als kompetente Mobilitätspartner. Wir Menschen nehmen solch schleichenden Entwicklungen nicht immer bewusst war. Von Schmuddel-Umfeldern hingegen, wenden wir uns reflexartig ab.  #

Zum Schluss nochmals Göpf Honegger, der zeitlebens gegen diese Verluderung gekämpft hat, überzeugt, dass uns die hässlichen Dinge krank machen: 

Ich glaube, dass in einer ästhetisch schönen Welt der Mensch besser lebt. Er wird nicht viel anders, aber ein bisschen.
— Göpf Honegger
 
 
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Göpf Honegger

Gottfried Honegger (1917–2016), geboren in Zürich und aufgewachsen in Sent im Unterengadin, machte eine Lehre als Schaufensterdekorateur und bildete sich an der Kunstgwerbeschule Zürich aus. Arbeit als Werbegrafiker, Designer und Art Director. Seit 1958 Maler und Bildhauer, Aufenthalte in New York. Zuletzt lebte er in Zürich und Paris.

 
 
Heinz Vögeli